Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer beim späteren Auffinden eines Testaments
19. December 2025
Bei der Schenkungsteuer beginnt die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erbe Kenntnis von seinem Erbe erlangt. Dabei kommt es auf die Kenntnis des rechtsgültigen Erwerbs an. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem das Nachlassgericht im sog. Erbscheinverfahren über die Wirksamkeit des Testaments entscheidet, wenn ein anderer potentieller Erbe der Erteilung des Erbscheins entgegentritt.
Hintergrund: Grundsätzlich beginnt die vierjährige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist. Hiervon gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, in denen es zu einem späteren Beginn kommt; man spricht hier von einer Anlaufhemmung. Im Bereich der Erbschaftsteuer beginnt z.B. die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erbe Kenntnis von seinem Erbe erlangt.
Sachverhalt: Die Tante des Klägers starb im November 1988. Der Kläger und seine Schwester waren die einzigen Hinterbliebenen. Die Tante hatte in ihrem Testament aus dem Jahr 1983 den Kläger sowie dessen Schwester zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Allerdings hatte sie in einem weiteren Testament aus dem August 1988 den Kläger zum Alleinerben bestimmt. Beide Testamente waren zunächst nicht bekannt, sondern wurden erst später entdeckt. Daher wurde dem Kläger und seiner Schwester im Januar 1989 ein Erbschein erteilt, nach dem der Kläger und seine Schwester zu je ½ Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge waren. Das Finanzamt erließ im Juli 1994 einen entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid, in dem es die Hälfte des Nachlasses dem Kläger zurechnete. Nachdem der Kläger das Testament vom August 1988 gefunden hatte, legte er dieses dem Nachlassgericht vor und beantragte einen Erbschein, in dem er als Alleinerbe genannt wird. Dem widersprach die Schwester des Klägers mit der Begründung, die Tante sei im August 1988 testierunfähig gewesen. Mit Beschluss vom 27.9.2007 kündigte das Nachlassgericht im Wege eines sog. Vorbescheids an, dem Antrag des Klägers stattzugeben und den Erbschein wie vom Kläger beantragt zu erteilen. Die Beschwerde der Schwester des Klägers wurde vom Landgericht im April 2008 zurückgewiesen, und auch eine hiergegen eingelegte Beschwerde der Schwester des Klägers hatte keinen Erfolg, sondern wurde im Februar 2009 zurückgewiesen. Im Oktober 2009 wurde dem Kläger ein Erbschein erteilt, in dem er als Alleinerbe genannt wurde. Daraufhin erließ das Finanzamt im September 2010 einen Änderungsbescheid und behandelte den Kläger als Alleinerben. Der Kläger machte den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab:
Im Streitfall war es zu einer Anlaufhemmung gekommen, da der Kläger erst mit dem Beschluss des Nachlassgerichts vom die Kenntnis vom rechtsgültigen Erwerb als Alleinerbe erlangt hat.
Für die Kenntnis vom Erwerb als Erbe genügt es in der Regel nicht, dass der Erbe die Existenz und den Inhalt eines Testaments kennt. Vielmehr muss er auch wissen, ob der Erblasser das Testament nicht noch aufgehoben bzw. widerrufen oder geändert hat. In der Regel erlangt der Erbe die entsprechende Kenntnis daher erst mit der Eröffnung des Testaments.
Wenn der Erbe einen Erbschein beantragt und ein anderer Erbe dem Antrag entgegentritt, tritt die Kenntnis über den Erwerb als Erbe erst mit der Entscheidung des Nachlassgerichts im Erbscheinverfahren ein. Denn dies stellt eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Testaments dar.
Die gerichtliche Entscheidung des Nachlassgerichts im Erbscheinverfahren erging am 27.9.2007. Damit begann erst mit Ablauf des 31.12.2007 die vierjährige Festsetzungsfrist, so dass der Änderungsbescheid vom September 2010 innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist erging, die mit Ablauf des 31.12.2011 endete. Die Anlaufhemmung war nicht dadurch verbraucht, dass der Kläger bereits im Januar 1989 einen Erbschein erhalten hatte; dieser Erbschein beruhte nämlich lediglich auf der gesetzlichen Erbfolge, nicht aber auf dem rechtsgültigen Erwerb aufgrund des Testaments der Tante vom August 1988.
Hinweise: Eine Änderungsvorschrift für den Bescheid vom September 2010 bestand ebenfalls, nämlich die Änderung wegen neuer Tatsachen; die neuen Tatsachen war das Testament der Tante vom August 1998, mit dem der Kläger zum Alleinerben bestimmt worden war.
Unbeachtlich ist, ob der gerichtliche Beschluss vom 27.9.2007 noch mit Rechtsmitteln anfechtbar war oder tatsächlich angefochten wurde; denn es kommt allein auf die Kenntnis an, dass der Kläger Alleinerbe geworden ist. Diese Kenntnis trat mit der Entscheidung des Nachlassgerichts am 27.9.2007 ein.
Quelle: BFH, Urteil vom 4.6.2025 – II R 28/22; NWB